Die Dokumentation: In sorgender Verantwortung

Warum der Einsatz gegen den Klimawandel ein Kernauftrag der Kirchen ist • von Dorothee Wüst

Die Kirche positioniert sich klar zum Klimawandel. Doch kaum jemand merkt’s. Foto: epd

Über die Hälfte der Deutschen sind bis heute Mitglieder der großen Kirchen. Die positionieren sich glasklar zum Klimawandel. Warum zur Hölle zeigt das so wenig Wirkung?“ Mit dieser pointierten Frage beginnt der Pfarrerssohn und Youtube-Star Rezo am 19. Dezember 2019 seine regelmäßige Kolumne in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“. Zunächst räumt er freimütig ein, gar nicht davon ausgegangen zu sein, dass die christlichen Kirchen sich übermäßig für den Klimaschutz interessieren. Doch seine Recherchen ergeben, dass das nicht der Fall ist. Er zitiert die einschlägigen EKD-Stellungnahmen wie zum Beispiel das Impulspapier „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“, das die Agenda 2030 aus kirchlicher Perspektive betrachtet. Oder auch die päpstliche Enzyklika „Laudato si“, die an Deutlichkeit gleichfalls wenig zu wünschen übrig lässt.

Dass sich Kirche nicht positioniert zum Thema Klimaschutz, kann keiner behaupten. Und zu diesem Schluss kommt auch Rezo und schreibt: „Da positionieren sich zwei riesige moralische Institutionen so klar und dringlich zu einem der politisch und gesellschaftlich relevantesten Themen – und wir merken es alle gar nicht.“ Und dann fragt er sich, warum das so ist. Seine Antwort: Weil es für die Medien keinen hinreichenden Nachrichtenwert hat. Und so kommt es, dass selbst kirchliche Insider keinen echten Überblick und Durchblick haben, was im Namen ihrer Kirche zum Thema Klimaschutz gesagt und getan wird.

Nur das Griffige schafft es in die Schlagzeilen

Mit der Seenotrettung haben wir es in die Schlagzeilen geschafft: etwas Griffiges, etwas unmittelbar Einleuchtendes. Aber mit den vielen klugen Worten zum Thema Klimaschutz gelingt uns das genauso wenig wie interessanterweise mit dem Thema „Frieden“, das ja genauso zum Kernbestand christlicher Überzeugungen gehört. Aber auch das weiß vermutlich nur eine verschwindende Anzahl von Menschen, weil sie es unbedingt wissen wollen.

Stellt sich die Frage, warum das dringlichste und populärste Problem unserer Zeit so gar nicht in Zusammenhang gebracht wird mit fundierten und klar positionierten Aussagen, die in beiden großen Kirchen gemacht werden. Wie kann es sein, dass ich als Kirchenvertreterin ernsthaft von Schülern gefragt werde, ob wir uns als Kirche auch mit dem Klimaschutz beschäftigen? Und wie kann es sein, dass ich umgekehrt von geistlichen Kollegen gefragt werde, warum wir uns als Kirche als eine Art Trittbrettfahrer bei „fridays for future“ an den Zeitgeist anbiedern?

Beides macht für den Moment sprachlos. Weil es offensichtlich sowohl bei denen, die wenig mit Kirche am Hut haben, als auch bei denen, die viel mit Kirche am Hut haben, erklärungsbedürftig ist, warum Kirche sich in Sachen Klimaschutz engagiert. Als sei das ein Randthema, theologisches, geistiges und geistliches Beiwerk, eben ein Modethema, das wir als Kirche nur deshalb auf die Agenda setzen, weil alle anderen das auch tun. Dass uns seit Tausenden von Jahren die Bewahrung der Schöpfung ins Glaubensstammbuch geschrieben ist, hat sich nicht überall herumgesprochen.

Eine Kirche, die dieses Thema als unwesentlich erachtet, läuft an ihrem Auftrag, Kirche in der und für die Welt zu sein, vorbei. Wer auch immer erwartet, dass Kirche sich aus „der Politik“ heraushält und sich um „ihr Eigentliches“ kümmert, verkennt, dass es kirchlich Eigentliches ist, sich um das zu kümmern, was der „polis“ nutzt oder schadet, was der Stadt respektive des Dorfs Bestes ist. Deswegen in aller Klarheit: Die Bewahrung der Schöpfung gehört zum kirchlichen Kernauftrag.

Und warum ist das so? Genesis 1, 28 beschreibt den Auftrag Gottes an die Menschen zum Umgang mit der Erde und allem Lebendigen in folgender bekannter Formulierung Martin Luthers: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Aus diesen Worten ließe sich ein göttlich angeordnetes Dominanzverhalten des Menschen über seine Um- und Mitwelt ableiten, gäbe es nicht eine präzisierende Formulierung im zweiten Kapitel dieses Buchs: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Danach meint Herrschaft nun eben nicht Raubbau, und die Schöpfung steht auch nicht unter dem Vorzeichen, ob sie dem Menschen nützt oder nicht. Es verhält sich genau umgekehrt: Der Mensch wird von Gott mit bestimmten Fähigkeiten ausgestattet, durch die er sich auf die Schöpfung beziehen soll. Und das in gestalterischer und sorgender Verantwortung. Diese Richtigstellung ist deshalb notwendig, weil das Herrschaftsverhalten des modernen Menschen mit seinen ungebremsten Wachstumsvorstellungen sich biblisch gedeckt fühlen könnte, nun aber gerade zum biblischen Zeugnis in Widerspruch steht.

Das System „Garten“ soll kultiviert werden, so gestaltet sein, dass es Lebensraum für alle bietet. Ein Gärtner, der nur in die eigene Tasche wirtschaftet und seine Verantwortung mit Füßen tritt, weil blühende Flächen veröden, Ackerland im Wasser versinkt, Tierarten aussterben, würde zu Recht vom bildlichen und biblischen Acker gejagt. Wenn wir als Christen und Christinnen Gott, den Schöpfer, bekennen und ihm unser Lob singen, dann ist dieses Lied nur glaubwürdig, wenn wir uns gleichzeitig mit der Verantwortung beschäftigen, die er uns für uns und unsere Welt zutraut. Und dieser Verantwortung wird der Mensch derzeit nicht gerecht.

Dabei ist es eine Randbemerkung wert, wer mit „der Mensch“ de facto gemeint sein kann. Letztlich kann nur der Verantwortung ausüben, der Verantwortung hat. Ein Kuhhirt in Afrika, dem das Vieh in der Trockenheit verreckt, hat vergleichsweise wenige Optionen, Verantwortung auszuüben. Ein Konzernvorstand, der über Investitionen nachdenkt, hat deutlich mehr Handlungsspielräume, die er so oder anders nutzen kann.

Wenn nun also sehr generell von der „Verantwortung des Menschen“ die Rede ist, ist im Einzelfall zu prüfen, wie individuelle Verantwortung aussehen kann. Und es liegt schnell auf der Hand, dass nur ein Teil der Menschheit infrage kommt, wenn es um ernst zu nehmende Kurskorrekturen gehen soll. Ein großer Teil der Menschheit hat längst keine eigenen Entscheidungsspielräume mehr, weil die Entscheidungen beim anderen deutlich kleineren Teil der Menschheit fallen. Oder anders gesagt: Das globale System Erde ist bereits so aus den Fugen, dass längst nicht mehr jeder Mensch bebauen und bewahren kann. Der Gärtner Mensch entzieht nicht nur Tier und Pflanze, für die er Verantwortung trägt, die Lebensgrundlage, er zieht sich selbst als Gattung den Boden unter den Füßen weg.

Auf diesem Hintergrund korrespondiert der biblische Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung mit dem gleichermaßen biblischen Auftrag zu Frieden und Gerechtigkeit. Wo Ressourcen knapp werden und Auskommen nicht mehr möglich ist, liegt der Nährboden für Gewalt und Krieg, für Flucht und Vertreibung. Wer kurzsichtig Fluchtursachen nur in den Ländern sieht, die verlassen werden, und leicht abfällig das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ in den Raum wirft, verkennt den globalen Zusammenhang, in dem die Schuld eben nicht bei den anderen zu suchen ist, sondern die eigene Haustür in den Blick kommt. Der hohe Lebensstandard vergleichsweise weniger und die naive Vorstellung, dass Wohlstand hier ohne Konsequenzen woanders immer weiter wachsen kann, sind teuer erkauft auf dem Rücken von vielen, die entwurzelt und traumatisiert durch die Welt irren auf der Suche nach einem Platz, an dem sie leben dürfen und können.

Wenn die jugendliche Klimaaktivistin Greta Thunberg davon spricht, dass das Haus in Flammen steht und dass sie sich von der Welt der Erwachsenen Panik erhofft, weil Panik Menschen schnell in Bewegung setzt und weil schnelle Reaktionen erforderlich sind angesichts der Rasanz, in der wir auf den Abgrund zusteuern, dann erntet sie dafür – aus gutem Grund – nicht nur Beifall. Weil Panik zwar in Bewegung setzt, aber in aller Regel kopflos und planlos. Aber mit ihrem Weckruf hat sie etwas in Bewegung gebracht. Und als Kirche können wir dankbar sein für jede Bewegung in Sachen Klima, Biodiversität und Umwelt, Frieden und Gerechtigkeit. In seinem anfangs genannten Beitrag fordert Rezo uns als Kirchen zu Recht auf, „auf christliche Art sichtbarer zu kämpfen“. Und er spricht alle Christen und Christinnen an: „Handelt klar, werdet laut, lasst eure Kirchenoberen nicht allein mit ihren rechteckigen Statements!“

Dorothee Wüst ist Oberkirchenrätin und in der pfälzischen Landeskirche für Umweltfragen zuständig. Den hier in Auszügen veröffentlichten Vortrag hielt sie beim Landesverband Pfalz-Saar der evangelischen Akademikerschaft.

Meistgelesene Artikel