Das Unverwechselbare des Einzelnen entdecken

Alljährliche evangelische Fastenaktion „Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“ startet im Februar – Wichtiges Thema: Inklusion

Szene aus dem Lukasevangelium: Jesus bietet dem ausgegrenzten Zachäus einen Rückweg in die Gemeinschaft an. Foto: wiki

„Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“ lautet das Motto der diesjährigen evangelischen Fastenaktion „Sieben Wochen Ohne“. Dabei soll das Unverwechselbare des Einzelnen entdeckt, in den Mittelpunkt gestellt und wertgeschätzt werden. Getreu dem Satz von Christian Morgenstern: „Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.“ Oder, wie es die Bibel sagt: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“

Eng damit verbunden ist das Thema der Inklusion, denn auch dabei geht es um die Wertschätzung des Einzelnen, der anders ist als die Masse, und dessen Einzigartigkeit und Schönheit wir oft nicht erkennen. Wenn sich der Begriff der Inklusion auch erst seit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention 2006 eingebürgert hat – davor war meist von Integration die Rede – ist die Inklusion doch ein zutiefst christliches Element.

„Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, … und er stieg auf einen Maulbeerbaum, um Jesus zu sehen … Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.“ Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Jesus und Zachäus, dem ausgestoßenen Sünder. Für Pfarrer Thomas Jakubowski, Beauftragter der evangelischen Landeskirche für Behindertenseelsorge und inklusive Gemeindekultur, ist der Text aus dem Lukasevangelium, Kapitel 19, Vers 1–10, ganz klar eine Inklusionsgeschichte. „Es ging Jesus darum, dem Ausgegrenzten den Rückweg in die Gemeinschaft anzubieten“, legt er den ­Bibeltext aus.

Und genau wie Jesus Zachäus in die Gemeinschaft holte, so möchte Jakubowski alle Menschen, nicht nur Behinderte, in die Gemeinschaft holen. Auch Ruth Lehmann, Leitende Referentin des Referats Behindertenhilfe und Psychiatrie im Diakonischen Werk Pfalz, sieht in der Begrenzung der Inklusion auf behinderte Menschen eine Engführung. Eine Einschätzung, die auch in den Einrichtungen der Behindertenhilfe geteilt wird. „Auch Kinder und Jugendliche oder Menschen mit Suchtproblemen, die zu uns kommen, erfahren häufig Ausgrenzung. Ihnen Wege in die Mitte der Gesellschaft aufzuzeigen, ist meines Erachtens genauso ein Beitrag zur Inklusion“, erläutert der Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung Pfalz, Joachim Scheib.

„Die Mitglieder im Diakonischen Werk sind auf dem Weg, der Behindertenrechtskonvention gerecht zu werden und ihre Arbeit in den Sozialraum ­hinein zu öffnen“, berichtet Ruth Lehmann. Ein Beitrag dazu ist beispiels­weise die Dezentralisierung großer ­Einrichtungen der Behindertenhilfe. Das Evangelische Diakoniewerk Zoar hat dazu beispielsweise das Projekt ­„zoar-zukunft mittendrin“ aufgelegt. Ziel ist es, bis 2020 ein dezentrales Wohnangebot für insgesamt 72 Be­wohner des Inkel­thalerhofs in Rockenhausen zu schaffen.

Die Diakonissen Speyer-Mannheim wollen auf der Landesgartenschau Landau ein inklusives Wohnprojekt realisieren. Auch die Heimstiftung hat im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe an vielen Orten die alten Heimstrukturen aufgelöst und durch familienähnliche Wohngruppen mitten in den Quartieren der Städte ersetzt, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, in die Sozialstruktur vor Ort hineinzuwachsen. Beste Beispiele für die Öffnung in das Gemeinwesen und den Sozialraum hinein sind Integrationsbetriebe wie das Stiftsgut Kaisermühle in Klingenmünster oder das schon 1999 gegründete Unternehmen Simotec GmbH mit Sitz in Kaiserslautern, eine Einrichtung des Ökumenischen Gemeinschaftswerks Pfalz.

Bei all diesen Angeboten geht es nicht nur darum, Behinderte in den Sozialraum zu integrieren, sondern auch, Menschen aus der Umgebung in die Einrichtungen zu holen. „Wir brauchen Unterstützer, vor allem in Politik und auf kommunaler Ebene. Wir müssen unser Netzwerk erweitern, wenn wir Anstöße geben wollen“, sagt Karl-Hermann Seyl, Geschäftsführer des Ökumenischen Gemeinschaftswerks Pfalz. Vieles habe das Gemeinschaftswerk jedoch schon auf den Weg gebracht, sagt er und berichtet sichtlich stolz, dass schon 60 behinderte Frauen und Männer in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden konnten – damit ist das Gemeinschaftswerk Landesbester beim Vermitteln in den ersten Arbeitsmarkt.

Auch bei dem Ludwigshafener Wicherninstitut, einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke Menschen, stand von Anfang an die Teilhabe am Arbeitsleben im Mittelpunkt, wie Joachim Scheib, Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung Pfalz, berichtet. Mit fünf Standorten bieten die Werkstätten ihren Beschäftigten zudem einen möglichst wohnortnahen Arbeitsplatz.

„Wie viel Inklusion möglich ist, hängt größtenteils von der Bereitschaft jedes Einzelnen ab, Menschen, die wir als anders erleben, an uns heranzulassen. Unser aller Augenmerk sollte auf die optimale, individuelle Hilfe zur Teilhabe am Leben gerichtet sein“, sagt Joachim Scheib. Und Pfarrer Jakubowski ist sich sicher: „Inklusion verändert alle, nicht nur Menschen mit Behinderungen.“ Durch die Inklusion treten alle miteinander in Interaktion. Voraussetzung ist allerdings, dass beide Seiten aufeinander zugehen.

Das ist bei der Landesgartenschau möglich, wenn eine der vier Ökumenischen Themenwochen, die vom 3. bis 9. Mai stattfinden, der Inklusion gewidmet ist. Am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, gestalten Behinderte aus Einrichtungen der evangelischen Landeskirche einen ganzen Tag lang das Programm. Anette Konrad

Barrierefreiheit ist Pflicht

2010 hat die Evangelische Kirche der Pfalz als erste Landeskirche eine Selbstverpflichtung zur barrierefreien Gestaltung von kirchlichen Angeboten und Einrichtungen beschlossen. Der Landeskirchenrat entschied sich dazu „im Bewusstsein um die Notwendigkeit, allen Menschen den gleichberechtigten und ungehinderten Zugang zu kirchlichen Angeboten und Einrichtungen und zur vollen Teilhabe am Leben der Gemeinschaft zu ermöglichen“, wie es in der Einführung der Selbstverpflichtung heißt.

Die Landeskirche verpflichtet sich damit, die Barrierefreiheit einzuhalten oder zu erreichen. Die Grundlage für die Selbstverpflichtung bildet die Gleichstellungsgesetzgebung des Bundes und des Landes Rheinland-Pfalz. Zur Selbstverpflichtung gehört beispielsweise eine Bestandsaufnahme über bereits bestehende barrierefreie und barrierearme Angebote und Einrichtungen der Landeskirche.

Neu geschaffene bauliche Anlagen sollen barrierefrei gestaltet werden. Konkret geht es dabei etwa um die Einrichtung von Behindertentoiletten und -parkplätzen, den Einbau von Induktionsanlagen oder Rampen. Zur weiteren Umsetzung dieses Auftrags ist ein Gesangsbuch in Din A4 geplant, damit auch ältere oder sehbehinderte Menschen aktiv den Gottesdienst mitgestalten können. rad

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