Brückenbauer für friedliches Europa

Britischer Ökumenereferent Philip Brooks: Der Brexit wird wohl die Partnerschaft beider Kirchen stärken

Partner zu Besuch in der Pfalz: Der Frankenthaler Pfarrer Henninger (3. von rechts) im Gespräch mit Gästen aus Leeds. Foto: Bolte

„Ah, es ist eine traurige Zeit“, seufzt Philip Brooks. Den drohenden Brexit seines Landes hält der Ökumenereferent der protestantischen United Reformed Church (URC) mit Sitz in London für einen großen Fehler. „Niemand weiß, wie das ausgeht – alle Szenarien sind möglich“, sagt der britische Pfarrer. Und doch habe das politische Chaos um einen irgendwie gearteten Austritt Großbritanniens aus der EU auch eine positive Seite. „Dadurch werden unsere kirchlichen Partnerschaften gestärkt“, ist der Pfarrer überzeugt.

Im Brexit-Streit sei es die Aufgabe der Kirchen, Brücken zu bauen zwischen der britischen Insel und dem europäischen Kontinent, sagt der 57-jährige Theologe. „Wir müssen stärker die Stimme der Liebe und Versöhnung erheben, enger zusammenarbeiten und unsere Partnerschaften wertschätzen.“ Dabei will der überzeugte Europäer noch enger mit den Partnern in der Pfalz kooperieren. Seit 1957 besteht eine offizielle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen der URC mit ihren rund 56000 Kirchenmitgliedern und der Evangelischen Kirche der Pfalz. Die Wurzeln der Partnerschaft gehen bis in das Nachkriegsjahr 1947 zurück: Damals schickte eine Kirchengemeinde aus der südenglischen Küstenstadt Worthing „Care“-Pakete mit Lebensmitteln an die leidende Bevölkerung in Wolfstein im Dekanat „An Alsenz und Lauter“ – der Beginn einer langen Freundschaft auf zahlreichen kirchlichen Ebenen, wie Brooks erzählt.

Europa sei ein Friedensprojekt, für das die Kirchen Verantwortung übernehmen müssten, sagt der URC-Ökumenereferent, der damit auf der Linie seiner deutschen Partner liegt. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, bezeichnete es kürzlich als dringliche Aufgabe der Kirchen in Deutschland und England, gegen die Spaltungstendenzen in Europa anzugehen. Doch das Brexit-Thema ist für britische Pfarrer ein heißen Eisen. „Man steht vor einem gespaltenen Publikum“, erzählt Brooks. Die Frage, ob Großbritannien die EU verlassen oder in ihr bleiben solle, entzweie Familien, Junge und Alte. Kein Wunder, dass die Kirchenleitung der URC laviert, um den innerkirchlichen Frieden in den rund 1500 Gemeinden zu wahren. Bewusst spreche man sich nicht für oder gegen einen Brexit aus, sagt Brooks. Er selbst findet die ganze Sache ärgerlich und peinlich: „Man will ständig ,Sorry‘ sagen für das Durcheinander, das wir angerichtet haben.“

Schätzungsweise die Hälfte der URC-Gemeinden mit ihren meist älteren Mitgliedern würde für einen Brexit stimmen, schätzt er. Anders als für viele Kontinentaleuropäer sei für viele Briten die EU weniger ein Friedensprojekt als „ein Geschäft“. Viele junge Briten befürchteten indes, dass ein Ausscheren ihres Landes aus der EU sie um ihre Zukunft beraube, erzählt Brooks. Auch seinem Sohn, der mit seiner deutschen Verlobten in Köln lebe, sei es bange, wie es weitergehe – und Nachwuchs sei bei dem jungen Paar unterwegs.

Leider nähmen es die Brexit-Befürworter in seiner Kirche für selbstverständlich, dass man in Europa seit mehr als 70 Jahren friedlich zusammenlebe. Ein Brexit werde auch zeigen, wie stabil der vor 20 Jahren durch das Karfreitagsabkommen verhandelte Frieden für Nordirland sei. Brooks würde deshalb am liebsten den „Reset-Knopf“ drücken, alles auf einen Neustart stellen – so wie es beim Fall der Berliner Mauer 1989 gewesen sei. Vor 30 Jahren hätten die Menschen in Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auf eine gute gemeinsame Zukunft gehofft, sagt er. Im November soll es bei einem ökumenischen Besuch von URC-Mitgliedern in der Pfalz auch darum gehen, wie die Kirchen den europäischen Gedanken in ihren Gesellschaften befeuern können, sagt Brooks. „Wir müssen zeigen, dass es eine Alternative gibt für den Weg des Populismus und Nationalismus.“

Auch Pfarrer Martin Henninger aus Frankenthal glaubt, dass der Brexit für die Kirchen den Anstoß gibt, „ihre manchmal selbstverständlich gewordenen Beziehungen auf allen Ebenen zu vertiefen“. Christinnen und Christen beider Länder müssten zueinander Kontakt halten, sich häufiger besuchen, sagt der Pfarrer, der sich seit vielen Jahren in der Partnerschaftsarbeit mit der URC engagiert. Geschockt war er, als 2016 knapp 52 Prozent der Briten bei einem Referendum dafür stimmten, der EU „Goodbye“ zu sagen. Und noch immer kann er nicht wirklich glauben, dass es dazu kommt: „Ein Austritt wäre ein ganz großer Verlust für Europa.“

Große Hindernisse für die pfälzisch-britische Freundschaft durch einen Brexit erwartet Henninger, wie auch die Speyerer Kirchenleitung, indes nicht. Schon immer müssten Reisende aus den 15 Kirchengemeinden, die partnerschaftlich mit URC-Gemeinden verbunden sind, genügend Zeit einplanen, um durch die britischen Passkontrollen zu kommen. Und mit etwas Glück werde es auch weiter möglich sein, für die Freunde „eine Kiste Pfälzer Wein unverzollt einzuführen“, sagt Henninger mit einem Anflug britischen Humors.

„Organisatorisch bekommen wir unsere Partnerschaft trotz Brexit geregelt“, versichert auch Pfarrer Thomas Borchers. Als Theologischer Referent im Landeskirchenrat kümmerte er sich im vergangenen September um die URC-Gäste beim Festwochenende der Landeskirche zu 200 Jahre Pfälzer Kirchenunion in Kaiserslautern. Man sei sich einig gewesen, dass eine neue Union der Kirchen nötig sei, sagt Borchers: „Wir können viel für Versöhnung und Frieden beitragen – das ist unser Dienst an der Gesellschaft.“ Alexander Lang

Manche haben Koffer gepackt

Der Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Auslandsgemeinden in London-Ost, Bernd Rapp, hat an die Kirchen in Großbritannien und Deutschland mit Blick auf den geplanten Brexit appelliert, ihre Partnerschaften zu vertiefen. „Wir müssen verstärkt aufeinander zugehen und den Austausch der Menschen fördern“, sagte er. Rapp arbeitet seit 2016 im Pfarramt London-Ost der Evangelischen Synode deutscher Sprache in Großbritannien. Deren drei Kirchengemeinden zählen rund 300 meist deutschstämmige Mitglieder.

Die Reaktionen auf die Brexit-Pläne der Briten seien bei seinen Gemeindemitgliedern sehr unterschiedlich, sagte Rapp, der zuvor Gemeindepfarrer an der Johanneskirche in Pirmasens war. Manche zeigten sich uninteressiert, weil sie mittlerweile die britische Staatsbürgerschaft hätten. Andere säßen auf gepackten Koffern. Seine Gemeinde unterstütze Gemeindemitglieder dabei, einen „Settled Status“ zu erhalten – eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nach fünfjährigem Aufenthalt – für den Fall, dass Großbritannien die Europäische Union ohne Einigung verlässt.

Keiner wisse, wohin es ab Ende März mit dem Land gehen werde, sagte Rapp, der das Brexit-Votum der Briten bedauert. Diese seien von den Politikern schlicht belogen worden. all

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